Dezernate I und II

(Amt 10 / Amt 30)

 

 

Bericht des Magistrats zur Prüfung der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens gemäß § 8b HGO

 

 

1)    Prüfauftrag

 

Gemäß § 8b HGO fällt die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens und damit die Einleitung eines Bürgerentscheids in die Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung. Die Vorbereitung dieser Entscheidung obliegt gem. § 66 HGO dem Magistrat.

 

Dabei handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, die für Ermessenserwägungen keinen Spielraum lässt (vgl. Bennemann u.a., PdK Hessen, Hessische Gemeindeordnung, § 8b, Rdn. 128). Für politische Erwägungen ist insofern kein Raum. Wenn die gesetzlichen Vorgaben an einer einzigen Stelle nicht eingehalten werden, muss das Bürgerbegehren als unzulässig zurückgewiesen werden (vgl. Bennemann, a.a.O., Rdn. 129).

 

Im Folgenden wird daher über die Prüfung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Klinikum Offenbach GmbH – Grundsatzbeschluss“ durch den Magistrat berichtet.

 

 

2)    Prüfung durch den Magistrat

 

Die Prüfung durch den Magistrat erfolgte anhand der untenstehenden, in der Kommentarliteratur zu § 8b HGO empfohlenen Reihenfolge zur Feststellung der vom Gesetzgeber aufgestellten Anforderungen. Diese sind:

 

Ist die erforderliche Schriftform beachtet worden?

 

Hat es in den letzten drei Jahren bereits einen Bürgerentscheid über dieselbe Angelegenheit gegeben?

 

Sind mindestens eine und höchstens drei Vertrauenspersonen im Bürgerbegehren selbst ausdrücklich genannt?

 

Ist in der Summe vor Prüfung des Bestehens des Wahlrechts eine ausreichende Anzahl von Unterstützungsunterschriften vorgelegt worden?

 

Soll das Bürgerbegehren zu einem Bürgerentscheid führen, bei dem eine mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Fragestellung vorgeschlagen oder zumindest möglich ist?

 

Handelt es sich bei der zur Abstimmung gestellten Frage um eine wichtige Angelegenheit der Gemeinde?

 

Wenn es um die Aufhebung oder Änderung eines Beschlusses der Gemeindevertretung geht: Wurde die Acht-Wochen-Frist eingehalten?

 

Liegt ein zwingender Ausschlussgrund nach der Negativliste des § 8b Abs. 2 HGO vor?

 

Enthält das Bürgerbegehren eine Begründung?

 

Verursacht die vorgeschlagene Entscheidung Kosten? Falls ja, liegt ein Kostendeckungsvorschlag vor?

 

Verfügt das Bürgerbegehren über die erforderlichen gültigen Unterstützungsunterschriften von 3 % der Wahlberechtigten bei der letzten Kommunalwahl?

 

 

Nach Prüfung durch den Magistrat sind jedenfalls folgende Voraussetzungen nicht erfüllt:

 

a)    Das Bürgerbegehren enthält zwar eine Begründung, diese entspricht jedoch nicht den rechtlichen Anforderungen des § 8b Abs. 3 Satz2 HGO. Diesbezüglich sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Darmstadt in seinem Beschluss vom 11.12.2012 – 3 L 1691/12.DA – zu dem vorliegend zu prüfenden  Bürgerbegehren vollumfänglich heran zu ziehen. Dort heißt es u.a.:

 

Die Begründung dient dazu, die Unterzeichner über den Sachverhalt und die Argumente der Initiatoren aufzuklären. Der Bürger muss wissen, über was er abstimmt. Dabei sind zwar an die Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Da die Begründung regelmäßig auch dazu dient, für das Bürgerbegehren zu werben, kann es in gewissem Umfang hinzunehmen sein, dass Tatsachenmitteilungen und Erläuterungen im Sinne des politischen Anliegens des Bürgerbegehrens „gefärbt“ sind. Es ist vorrangig Sache der abstimmungsberechtigten Bürger, sich selbst ein eigenes Urteil darüber zu bilden, ob sie den mit dem vorgelegten Bürgerbegehren vorgetragenen Argumenten folgen wollen oder nicht. Darüber hinaus lassen schon Raumgründe eine ausführliche Erörterung des Für und Wider regelmäßíg nicht zu. Die Grenze einer sachlich noch vertretbaren, politisch unter Umständen tendenziösen Darstellung des Anliegens des Bürgerbegehrens ist jedoch dann überschritten, wenn die Begründung in wesentlichen Punkten falsch, unvollständig oder irreführend ist. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dem eine Täuschungsabsicht der Initiatoren des Bürgerbegehrens zu Grunde liegt (OVG NRW, Urteil vom 23.04.2002  – 15 A 5594/00 -, NVwZ-RR 2002, 766). Denn maßgebend für eine inhaltliche Kontrolle der Begründung ist allein das Ziel, Verfälschungen des Bürgerwillens vorzubeugen (so VG Stuttgart, Urteil vom 17.07.2009 – 7 K 3229/08 -, VBIBW 2009, 432). Vorstehendes gilt auch, wenn die Begründung – bzw. bereits die Fragestellung oder beides zusammen – dem Bürger ein unzutreffendes oder unvollständiges Bild (defizitäres Bürgerbegehren, s. BayVGH, Beschluss vom 16.04.2012 – 4 CE 12.517,KommunalpraxisBY 2012 , 268) vom maßgeblichen Sachverhalt vermittelt (VG Ansbach, Urteil vom 06.07.2006 – AN 4 K 06.00437-, Kommunalpraxis BY 2006, 344).

 

Vorstehendes ist hier der Fall, da durch die dem Bürgerbegehren beigefügte Begründung dem jeweiligen Unterzeichner suggeriert wird, das Klinikum Offenbach (gemeint ist wohl die Klinikum Offenbach GmbH) befände sich in einem Sanierungsprozess, der bei konsequenter Fortsetzung eine „schwarze Null“ des operativen Geschäfts zur Mitte des Jahres 2015 erwarten lasse. Dennoch habe die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, das Klinikum zu verkaufen. Diese Begründung lässt nicht nur außer Acht, dass die Stadt Offenbach die Teilnahme am kommunalen Schutzschirm des Landes Hessen beantragt hat und sich im Gegenzug für Entschuldungshilfen in Höhe von 211 Mio. Euro verpflichten muss, „ihren Haushalt schnellstmöglich und anschließend dauerhaft zu begleichen, um im Jahre 2020 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen“. Die Begründung lässt auch unberücksichtigt, dass die finanzielle Lage der Klinikum Offenbach GmbH derart desaströs ist, dass eine drohende Insolvenz nur durch eine „Vereinbarung zur Abwendung der Insolvenz der Klinikum Offenbach GmbH und zur Umsetzung der Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Offenbach vom 08.11.2012 zum Verkauf des Klinikums Offenbach“ zwischen der Stadt Offenbach, der Klinikum Offenbach GmbH und dem Land Hessen, vertreten durch das Sozialministerium, vermieden werden konnte, in der das Land Hessen der Antragsgegnerin in Ansehung der seit Jahren defizitären Haushaltssituation und zum Ausgleich außergewöhnlicher Belastungen eine Zuwendung in Höhe von 40 Mio. Euro aus Mitteln des Landesausgleichsstocks zugesagt hat. Angesichts dieser Lage erscheint es nur schwer nachvollziehbar, wenn in dem Bürgerbegehren behauptet wird, bei der Klinikum Offenbach GmbH sei eine „schwarze Null“ zur Mitte des Jahres 2015 zu erwarten.“

 

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass aus den eingereichten Unterlagen nicht erkennbar ist, ob eine eingehendere Information der Bürgerinnen und Bürger über die Inhalte der Punkte 1, 2 und 4 des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung vom 08.11.2012 erfolgte. Auch die Begründung des Bürgerbegehrens macht keine Aussage zum Inhalt der Punkte 1, 2 und 4 des o.g. Beschlusses. Bei Unterschrift wäre somit für die Unterzeichnenden nicht erkennbar gewesen, was weitere wesentliche Inhalte des Beschlusses waren.

 

b)    Das Bürgerbegehren enthält darüber hinaus keinen ausreichenden Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme i.S.d. § 8 b Abs. 3Satz 2 HGO. So ist aus ihm auch nicht nur annähernd nachvollziehbar, wie der Erhalt des Klinikums in kommunaler Hand finanziert werden soll.

 

Nach der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung (vgl. etwa VGH Kassel, Beschluss vom 18.03.2009 – 8 B 528/09 -, ESVGH 59, 251) dient der in dieser Norm vorgeschriebene Kostendeckungsvorschlag dem Zweck, „den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen, damit sie in ihrer Entscheidung auch die Verantwortung für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Gemeindevermögen übernehmen können. Es sind deshalb nicht nur die unmittelbaren Kosten der vorgeschlagenen Maßnahme, sondern auch zwangsläufige Folgekosten, der Verzicht auf Einnahmen und die Kosten einer erzwungenen Alternativmaßnahme zu berücksichtigen (vgl. u.a. OVG NRW, Beschlüsse vom 19. März 2004 – 15 B 522/04 – NVwZ-RR 2004, 519, vom 21. November 2007 – 15 B 1879/07 – HGZ 2008, 147 und vom 21. Januar 2008 – 15 A 2697/07-, NWVBI. 2008 S.307 zitiert von VG Darmstadt, B. v. 11.12.2012 – 3 L 1691/12.DA). Die Rechtsprechung verlangt ausdrücklich die Angabe, welchen Bereichen des städtischen Haushalts Mittel entzogen werden sollen oder wie auf sonstige Art und Weise Mittel beschafft werden sollen, die nötig sind, um eine derartige Maßnahme zu finanzieren (VGH Kassel, B. v. 23.11.1995, NVwZ-RR 1996 S. 409).

 

Dem entspricht der vorliegende Kostendeckungsvorschlag nicht. Dort heißt es, die bis zum Abschluss des Sanierungskonzepts nötige Erhöhung des Eigenkapitals könne über Kreditaufnahmen oder Ausfallbürgschaften der Stadt Offenbach finanziert werden. Darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass die Landesregierung sich bei einem erfolgreichen Bürgerentscheid ihrer sozialen Verantwortung bewusst werde und auch einen Teil zur Finanzierung beitrüge. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Darmstadt (B. v. 11.12.2012 – 3 L 1691/12.DA –) ist der so formulierte Kostenvoranschlag nicht einmal im Ansatz geeignet, den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen, damit sie in ihrer Entscheidung auch die Verantwortung für die wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Gemeindevermögen übernehmen können. Die Kammer führt hierzu aus:

 

„Sowohl die Begründung des Bürgerbegehrens wie auch der Kostendeckungsvorschlag erschöpfen sich in diffusen Behauptungen und Spekulationen. Angesichts der oben dargestellten Situation, insbesondere der Vereinbarung zur Abwendung der Insolvenz der Klinikum Offenbach GmbH und zur Umsetzung der Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Offenbach vom 08.11.2012 zum Verkauf des Klinikums Offenbach und der vom Land Hessen in Form des kommunalen Rettungsschirms bereits zur Verfügung gestellten oder zu erwartenden finanziellen Hilfen ist die Erwartung, das Land werde sich seiner Verantwortung bewusst werden und auch einen Teil zur Finanzierung beitragen, gänzlich unrealistisch und gerade nicht geeignet, den Bürgern in finanzieller Hinsicht die Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung deutlich zu machen.“

 

Zusammenfassend ist der vorgelegte Kostendeckungsvorschlag nach Ansicht des Magistrats nicht geeignet, die im Falle eines positiven Bürgerentscheids entstehenden Mehrbelastungen für die Stadt Offenbach abzudecken. Siehe hierzu auch die in Anlage 3 beigefügten Stellungnahmen der Kämmerei der Stadt Offenbach, des hessischen Städtetages, die untenstehenden Ausführungen des Hessischen Ministers des Inneren und für Sport vom 17.12.2012 zum Landesausgleichsstock sowie die mehrfach zitierte Begründung des Beschlusses des VG Darmstadt vom 11.12.2012 – 3 L 1691/12.DA –.

 

 

3)    Weitere Prüfungen

 

Begleitend zu dieser eigenen Prüfung hat die Stadt Offenbach den Hessischen Städtetag (HST) sowie das Regierungspräsidium Darmstadt um eine Stellungnahme zum vorliegenden Bürgerbegehren, dessen Begründung und dessen Kostendeckungsvorschlag gebeten.

 

Die Stellungnahme des HST ist der Magistratsvorlage als Anlage 3 beigefügt. Das Regierungspräsidium Darmstadt hat auf Nachfrage erklärt, im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung keine Stellungnahme abzugeben.

 

Die Sichtweise der Oberen Kommunalaufsicht bzw. der Landesregierung kommt jedoch – nachdem diese im Vorfeld der Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung vom 08.11.2012 bereits deutlich formuliert wurde – nochmals zusammenfassend im Schreiben des Hessischen Ministers des Inneren und für Sport vom 17.12.2012 („Gewährung einer Zuweisung aus dem Landesausgleichsstock gem. § 28 Finanzausgleichsgesetz zum teilweisen Ausgleich der Haushaltsfehlbeträge der Jahre 2007 bis 2009“) zum Ausdruck.

 

Dort heißt es unter Punkt 11 der Begründung:

 

„Die Entwicklung der Klinikum Offenbach GmbH wird die künftige Haushaltsentwicklung weiter schwer belasten.

(…) Der von der Stadt favorisierte Weg der weiteren alleinigen kommunalen Verantwortung war für das Regierungspräsidium Darmstadt daher nicht mehr genehmigungsfähig. (…) Der – nach den langjährigen Erfahrungen mit Wirtschaftslichkeitsprognosen aus dem Klinikum kaum seriös belastbare – Sanierungsplan sah erst für das Jahr 2015 keine Defizite im operativen Bereich mehr vor. Dieser Sanierungsplan aber beließ die erforderlichen jährlichen Aufwendungen für Tilgung, Zins und Abschreibung in zweistelliger Millionenhöhe dauerhaft beim städtischen Haushalt. Dies hätte zu einer Verschärfung der finanziellen Situation der Stadt in einer bisher in Hessen nicht gekannten Dimension geführt und das gesetzliche Gebot ausgeglichener Haushalte realistischer weise auf Dauer unmöglich gemacht. Von daher war es folgerichtig, dass der Regierungspräsident die von der Stadt erbetenen weiteren Kreditaufnahmen (mindestens 90 Mio. € bis zum Jahr 2015) zur Fortführung der unabsehbar weiter verlustreichen Unternehmung nicht mehr verantworten konnte. Auch das Einbringen der Klinik in einen derzeit von der hessischen Landesregierung initiierten kommunalen Klinikverbund war für das Regierungspräsidium keine erfolgversprechende Alternative mehr, da auch in einem solchen Verbund – wenn sich dazu genügend kommunale Partner finden, was derzeit nicht gesichert ist – der wesentliche Teil bisher entstandener und bis zur Verbundlösung weiter auflaufender Altschulden von der Stadt hätten getragen werden müssen.

Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 8.11.2012 nunmehr das Klinikum zu verkaufen, ist daher der richtige und konsequente Weg, das nach den Erfahrungen der letzten Jahre unkalkulierbare Risiko ständiger weiterer kreditfinanzierter Zuschüsse zu vermeiden. (…)“

 

Das Innenministerium stellt somit hinsichtlich drei zentraler Punkte, auf die die Begründung und der Kostendeckungsvorschlag des Bürgerbegehrens explizit Bezug nehmen (Verbleib in kommunaler Hand, Umsetzung des Sanierungsplans, weitere Kreditaufnahme und Übernahme von Ausfallbürgschaften durch die Stadt) fest, dass diesem Vorgehen durch das Regierungspräsidium Darmstadt vor dem Hintergrund der finanziellen Lage der Stadt keine Genehmigung erteilt werden wird.

 

4)    Fazit

 

Das Bürgerbegehren ist nicht zulässig.

 

Seitens des Magistrats muss daher der Stadtverordnetenversammlung empfohlen werden, das Bürgerbegehren für nicht zulässig zu erklären.

 

 

Offenbach, 21.01.2013

Dezernate I und II

 

 

 

 

H. Schneider                                               P. Schneider

Oberbürgermeister                                     Bürgermeister