Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt

Offenbach am Main

2011 - 2016


2011-16/DS-II(A)0039Ausgegeben am 25.01.2013

Eing. Dat. 24.01.2013

 

 

Wissen verfügbar machen - kulturelles Erbe erhalten
hier: Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 01.03.2012,
2011-16/DS I (A) 0155
dazu: Magistratsvorlage Nr. 012/13 (Dez. I) vom 23.01.2013


Die Stadtverordnetenversammlung hat folgenden Beschluss gefasst:

Der Magistrat wird beauftragt zu prüfen und der Stadtverordnetenversammlung zu berichten, welche Bestande in der Stadt Offenbach an kulturell oder geschichtlich wertvollen Dokumenten sich für eine Digitalisierung eignen. Weiter wird beauftragt zu prüfen und zu berichten, welchen finanziellen und personellen Aufwand die Einrichtung eines Projektes bedeuten würde, welches diese Bestände in den nächsten Jahren digitalisieren würde. Dieses soll auch eine mögliche Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen und/oder privaten Institutionen einschließen, insbesondere die Möglichkeit von Zuziehung etwaiger Fördergelder, wie etwa im Umfeld der Deutschen Digitalen Bibliothek und der DFG, oder aus dem europäischen "Information and Communication Technologies Policy Support Programme“ (ICT PSP) [1].

 

 

Hierzu berichtet der Magistrat wie folgt:

 

(1) Welche Bestände eignen sich zu einer Digitalisierung?

 

 „Zur Digitalisierung besonders geeignet sind Materialien und Bestände, die sich durch eine anhaltend starke und belegte überregionale wissenschaftliche Nutzung oder eine besondere, dokumentierte überregionale wissenschaftliche Nachfrage von den übrigen Beständen einer wissenschaftlichen Informationseinrichtung abheben sowie Bestände, bei deren digitaler Verfügbarkeit die Stimulierung und Stärkung wissenschaftlicher Forschung in Deutschland erwartet werden kann. Bitte beachten Sie bei der Projektplanung die DFG-Praxisregeln "Digitalisierung".“ (Empfehlung DFG 7/2012)

 

Digitalisierungsprojekte im Rahmen der Arbeit der Archive und Museen teilen sich i.d.R. auf folgende Bereiche auf:

(a) Eigenprojekte

(b) Drittmittelprojekte

(c) Digitalization on Demand

(d) Konservatorische Digitalisierung

 

Dabei sind (a) und (b) i.d.R. Projekte, die aus inhaltlichen Erwägungen gestaltet werden, also aus ähnlichen Intentionen heraus wie eine Ausstellung oder eine Publikation. Das Haus verfügt im Fall (a) über einen Etat zur Digitalisierung und plant in dessen Rahmen Digitalisierungsprojekte, i.d.R. von eingrenzbaren Beständen eines bestimmten Themenbereichs. Im Fall (b) finanziert ein Drittmittelgeber entweder ein vom Haus beantragtes Projekt (in diesem Fall wäre es also entsprechend (a)) oder ermöglicht dem Haus auf eigene Initiative ein Digitalisierungsprojekt zu Beständen, die dem Drittmittelgeber besonders förderungswürdig erscheinen. Im Rahmen von (c) Digitalization on Demand werden Bestände auf Anfrage von und Finanzierung durch einen Nutzer digitalisiert. In den Positionspapieren des DFG wird empfohlen, in solchen Fällen zu versuchen, in diesem Rahmen i.d.R. die Digitalisierung des gesamten zum beauftragten Bereich gehörigen Bestands zu realisieren. Eine (d) konservatorische Digitalisierung  geschieht, um die Originale zu schonen bzw., wenn sich deren Erhaltungszustand auch unabhängig von der Nutzung verschlechtert, ihren Aussagewert generell zu erhalten. Dies ist insbesondere bei vielfältig nachgefragten Archivalien/ Kunstwerken/ Dokumenten der Fall, aber auch bei solchen, die durch mechanische Vorgänge generell besonderer Belastung ausgesetzt sind, wie z.B. gefalteten Karten oder Plakaten.

 

Das Archiv im Haus der Stadtgeschichte und die Bestände der Museen der Stadt Offenbach beinhalten erhebliche und z.T. sehr heterogene Bestände. Die Anfrage an den Magistrat beinhaltet darüber hinaus den privaten Bestand der Mozart-Erstdrucke des Hauses André. Auch solche Bestände können, die Zustimmung der Eigentümer vorausgesetzt, Gegenstand eines von der Stadt getragenen Projekts sein.

 

Wichtige Rahmenbedingungen sind hierbei im Übrigen Angelegenheiten besonders der Persönlichkeitsrechte, des Urheberrechts und des Verwertungsrechts sowie die zur Anwendung gebrachten Modelle der Verfügbarmachung/Recherchierbarkeit der Dokumente, um sie der wissenschaftlichen Kommunität möglichst effektiv zur Verfügung zu stellen.

 

Die Entwicklung von Digitalisierungsprojekten ist eine anspruchsvolle inhaltliche Tätigkeit, vergleichbar der Entwicklung von Ausstellungen oder Publikationen. Die Entwicklung von solchen Projekten hängt eng mit der Menge verfügbarer Mittel zusammen, sollte aber ob der Komplexität der Aufgabe erst im Fall einer realistischen Verwirklichungsmöglichkeit en Detail geplant werden.

 

Für Digitalisierungsprojekte eignen würden sich beispielsweise Bestände des Archivs im Haus der Stadtgeschichte, sofern diese nicht urheberrechtlich oder aus Datenschutzgründen gesperrt sind. Insbesondere sind Dokumente zu nennen, die besonders stark beansprucht werden, etwa die Offenbacher Adressbücher oder historische Zeitungsfolgen. Aber auch die Sammlung hebräischer Offenbacher Drucke des 18. und frühen 19. Jahrhunderts könnten in Betracht gezogen werden, zumal ein überregionales Interesse vorliegen dürfte.

 

Anzumerken ist, dass Digitalisierungen im Archiv des Hauses der Stadtgeschichte derzeit nur auf Einzelanfrage vorgenommen werden. Denn das Digitalisieren von Archivalien nach vorigem Nutzerantrag stellt gemäß geltender städtischer Gebührensatzung eine wichtige Einnahmequelle für das Archiv dar, nachdem keine Eintrittsgelder oder sonstige Nutzungsgebühren erhoben werden.

 

(2) Welche Kosten und welcher Personalbedarf gehen mit einer Digitalisierung einher?

 

Digitalisierung kann zum einen durch das Personal des betroffenen Hauses („inhouse-Lösung“) vorgenommen werden oder durch Dritte (Dienstleister). Auf jeden Fall beim Haus verbleibt die Aufgabe der Projektsteuerung und –kontrolle sowie unabdingbar in Bezug auf die Metadatenerfassung und –systematisierung als Einordnungsprinzip innerhalb des Gesamtsystems der Einrichtung. Vor der Entscheidung für eine inhouse-Lösung oder die Vergabe an ein Dienstleister stehen zudem noch rechtliche Erwägungen insbesondere des Datenschutzes.

 

In der im bundesdeutschen Vergleich üblichen Handhabe, dokumentiert in den Empfehlungen des Bundesverbands der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag sowie des Deutschen Bibliotheksverbands und ergänzt durch Rücksprachen mit Kollegen in vergleichbaren deutschen Archiven, wird die folgende Handhabe empfohlen: Bei Beständen mit einer erhöhten Komplexität der Systematik, von aufwändigen und ggf. diversen Ansprüchen zur Kennzeichnung mittels Metadaten, der Auswahl und Sortierung von Einzeldigitalisaten etc. wird empfohlen, diese im Regelfall inhouse vorzunehmen. Eine Vergabe an Dienstleister ist zuvor zunächst unter den benannten Aspekten des Datenschutzes zu erwägen; in Hinblick auf eine effektive Arbeit bieten sich für die Vergabe an Dienstleister u.a. größere Mengen von ähnlich gearteten Dokumenten an (Formulare etc.), deren Vorbereitung zur Digitalisierung und die Einpflegung in die Ordnungssysteme wenig kompliziert ist oder Bestände in Formaten, die in handelsüblichen Geräten für den inhouse-Gebrauch schwierig zu handhaben sind (z.B. Landkarten). Hinzu kommt die Übertragung von anderweitigen Reproduktionen wir Mikrofilm/Mikrofiche in digitale Formate, falls deren technische Qualität bereits den Ansprüchen wissenschaftlicher Arbeit entspricht.

 

Zu den Offenbacher Museen und dem Archiv ist zu bemerken, dass sowohl die städtischen Häuser als auch das DLM ihre Bestände, je nach finanzieller und persönlicher Möglichkeit, bereits schubweise digitalisieren bzw. Fotografien ihrer Exponate in digitaler Form anfertigen. Diese Tätigkeit wird im laufenden Betrieb weitergeführt.

 

In befragten Archiven mit ähnlichem Arbeitsbereich stehen, wenn Digitalisierungsinitiativen im Haushalt vorgesehen sind, zwischen € 2.500,- und € 20.000,- p.A. zur Verfügung. Eine Verbesserung der Ausrüstung zur professionellen Digitalisierung für die unterschiedlichen Vorlagenformate liegt zwischen einem Negativscanner zu rund € 1.600,- und für die bestehenden Bestände abzugleichenden Großformatscannern, die je nach Größe und Ausstattung in der angemessenen Qualität zwischen € 6.000,- und € 20.000,- kosten und vom eigenen Personal bei entsprechender Schulung problemlos gehandhabt werden können. Um die Arbeiten von personeller Seite leisten zu können, ist hierbei auch die Verpflichtung von Projektmitarbeiterinnen und –mitarbeitern denkbar, da der bestehende Personalbestand über den aktuellen Rahmen der Digitalisierung in den Häusern kaum belastbar ist.

 

Die Kosten für die Übernahme von Projektbestandteilen durch Dienstleister hängen selbstverständlich deutlich vom Umfang des Auftrags, von der Art und Beschaffenheit der Materialien, Standard- und Sonderformaten etc. ab.

 

Einzurechnen ist zudem, dass auch eine Digitalisierung von Beständen Folgekosten für die Pflege des elektronischen Bestands nach sich zieht, u.a. für die in Hinblick auf technische Entwicklungen absehbare Notwendigkeit einer geregelten Migration der Daten auf neue Datenträger und Speicherformate.

 

Bei einer Digitalisierungsmaßnahme, die dem Standard entspricht, beträgt der durchschnittliche Preis für das Einscannen einer Seite 0,20 Euro. Für eines der oben beispielhaft aufgeführten Adressbücher des Hauses der Stadtgeschichte (Jg. 1929, 760 DIN A 4 Seiten) entstünden somit Kosten in Höhe von 152 Euro. Da das Archiv insgesamt über 49 Adressbücher verfügt, wären bei anzunehmender durchschnittlicher Seitenzahl von 760 Seiten insgesamt 7.448 Euro für die Digitalisierung eines kompletten Bestandes zu entrichten.

 

(3) Welche Kooperationen/ Fördermodelle bieten sich ggf. an?

 

 Zur Digitalisierung existieren übergreifende Förderprogramme vor allem durch die DFG sowie über die EU. Das aktuelle Schwerpunktprogramm der DFG ist fokussiert auf die so vollständig als möglich zu realisierende Digitalisierung von Buchdrucken des 16. und 17. Jahrhunderts (VD 16 und VD 17); der Programmbereich VD 18 (18. Jahrhundert) befindet sich in der Vorbereitungsphase. Darüber kann nach Prüfung der Relevanz etc. die Digitalisierung von gedruckter fach- bzw. regionalspezifischer Literatur ebenfalls gefördert werden.

Denkbar in diesem Bereich wäre z.B. ein Antrag für ein Projekt zur Digitalisierung der bedeutenden Sammlung früher hebräischer Buchdrucke, die sich im Bestand des Hauses der Stadtgeschichte/Archiv befindet und die sich mit den Projekten VD 17 und dem projektierten VD 18 der DFG decken könnte.

 

Bei der EU steht im Bereich der Digitalisierung vor allem das Projekt „eContentplus“ zur Verfügung. „eContentplus“ fördert ausschließlich Projekte, die eine Infrastruktur für digitale Angebote entwickeln oder die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit bestehender Digitalisate erleichtern, also nicht die Digitalisierung als solche. Es existiert derzeit parallel dazu eine Pilotphase zur Digitalisierung von archivalischen Quellen sowie historischen Zeitungen, vor deren abschließender Evaluierung allerdings keine Förderanträge in diesem Bereich entgegengenommen werden.

 

Vorstellbar sind weitere Projekte im Sinn der in (1) dargestellten Drittmittelprojekte, die z.B. durch regionale Akteure (Sparkassen-Kulturstiftungen, Dr. Marschner-Stiftung etc.) aus speziellen inhaltlichen oder vermittelnden Erwägungen heraus gefördert werden.