Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt

Offenbach am Main

2011 - 2016


2011-16/DS-II(A)0041Ausgegeben am 17.04.2013

Eing. Dat. 14.03.2013

 

 

 

Gesundheitliche Versorgung von Kindern, Eltern und schwangeren Frauen bei Ausschluss von Leistungsbezug nach SGB II oder XII und nicht vorhandenem Versicherungsschutz

hier: Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 23.08.2012, DS-I(A)0210/1
dazu: Mag.-Vorlagen Nr. 103/13 (Dez. II, Amt 53/Dez. III, Amt 50) vom 13.03.2013


Die Stadtverordnetenversammlung hat folgenden Beschluss gefasst:

Der Magistrat wird beauftragt zu prüfen und zu berichten, ob und wie die gesundheitliche Versorgung von Kindern, Eltern und schwangeren Frauen, die von einem Leistungsbezug nach SGB II / SGB XII ausgeschlossen und nicht krankenversichert sind, zu gewährleisten ist.

Dabei sind die absehbaren Kosten für die Stadt Offenbach darzustellen.

Der Magistrat wird ferner beauftragt zu prüfen und zu berichten, wie vergleichbare Regelungen in anderen bundesdeutschen Kommunen praktiziert werden.

Ebenso soll geprüft und berichtet werden, ob und gegebenenfalls wie die Zusammenarbeit zwischen der Stadt und bestehenden Angeboten von Gesundheitsdienstleistungen verbessert werden kann.

 

 

Hierzu berichtet der Magistrat wie folgt:

 

Zu a)

 

Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung obliegt den kassenärztlichen Vereinigungen. Bestandteil des Sicherstellungsauftrages ist auch die Gewährleistungspflicht dafür, dass die Versorgung mit den gesetzlichen Vorgaben im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) übereinstimmt.

 

Personen, die nicht über eine Krankenversicherung verfügen und zur Begleichung von Behandlungskosten wirtschaftlich nicht in der Lage sind, können im Falle der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit grundsätzlich sog. Hilfen zur Gesundheit nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erhalten; in diesem Fall finanziert der Sozialhilfeträger die Kosten der ärztlichen Behandlung in der Regel entsprechend dem Leistungsumfang des SGB V.

 

Die Leistungen umfassen die vorbeugende Gesundheitshilfe, die Hilfe bei Krankheit, die Hilfe zur Familienplanung, die Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie die Hilfe bei Sterilisation. Sie setzen als Sozialhilfeleistungen neben dem Bedarf als solchem auch die wirtschaftliche Bedürftigkeit voraus, die bei Hilfen in besonderen Lebenslagen gemäß  §§ 85 – 89 SGB XII gegeben ist, wenn die Einkommensgrenze in Höhe des zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 zuzüglich eines Betrages für Unterkunftskosten und eines Familienzuschlages nicht oder nur geringfügig (dann ist ein Eigenanteil zu leisten) überschritten wird.

 

Bei Behandlungsbedarf kann der/die Betroffene beim Sozialamt einen Antrag auf Übernahme der Kosten einschließlich Versorgung mit Medikamenten vor der Behandlung stellen; die Zugangssteuerung erfolgt dabei über die Zentrale Beratungs- und Servicestelle des Sozialamtes. Ein Behandlungsbedarf kann auch über einen Dritten (Gesundheitsamt, Beratungsstellen etc.) gegenüber dem Sozialamt kund getan werden, was ebenfalls eine Prüfung des Anliegens auslöst.

 

Sofern ein medizinischer Notfall besteht und ein Dritter Hilfe durch Krankenbehandlung leistet, wird für diesen ein eigener unmittelbarer Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Erstattung der Aufwendungen begründet. Voraussetzung der Erstattung der Kosten z.B. eines Krankenhauses (oder auch eines anderen Nothelfers, der in einer akuten Notlage eine medizinische Leistung erbringt) ist jedoch immer das Vorliegen der Voraussetzungen einer Leistungserbringung nach dem SGB XII an den Leistungsempfänger selbst, der also dem Grunde und der Höhe nach sozialhilfebedürftig im oben aufgeführten Sinne sein muss. Dies darzulegen und zu beweisen ist Obliegenheit des Nothelfers.

 

Für Ausländerinnen und Ausländer gelten hinsichtlich des Bezuges von Leistungen nach dem SGB XII und somit auch von Leistungen zur Gesundheit ggf. (je nach Aufenthaltsstatus und Motivation zur Einreise) die Einschränkungen nach Maßgabe des § 23 SGB XII. Danach haben sie einen Rechtsanspruch hinsichtlich der eingangs benannten Hilfearten nur auf Leistungen der Krankenhilfe sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft; die übrigen Leistungen zur Gesundheit können erbracht werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist, womit die Prüfung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht.

 

Eine weitere Einschränkung erfahren solche Ausländer und ihre Familienangehörigen, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen (dies muss nicht alleiniges, aber prägendes Motiv sein), oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Sie haben keinen Anspruch auf Sozialhilfe, folglich auch nicht auf die Leistungen der Krankenhilfe sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft; auch hier steht dann die Leistung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Hier kommt eine Finanzierung entsprechend der Kostenübernahme für Asylbewerber nach § 4 AsylbLG in Betracht. Danach sind die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche (zahn-) ärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Diese Leistungen umfassen Zahnersatz nur insoweit, als es im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. Die Versorgung mit einem Hörgerät etwa ist vom Leistungsumfang nicht umfasst. Amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotene Vorsorgeuntersuchungen sowie ärztliche und pflegerische Hilfen und Betreuung, Hebammenhilfe einschließlich Arznei, Verband- und Heilmitteln für werdende Mütter und Wöchnerinnen hingegen gehören zum Leistungsumfang.

 

Diese Leistungen stehen etwa auch den Zuwandererfamilien aus Südosteuropa vorbehaltlich der Prüfung des Vorliegens der sozialhilferechtlichen Voraussetzungen im Übrigen (siehe vorstehend) grundsätzlich offen, auch wenn zu vermuten ist, dass sich bei der jeweils vorzunehmenden Prüfung im Einzelfall überwiegend eine von der Möglichkeit, staatliche Unterstützung zu erhalten, geprägte oder vom Zweck der Arbeitssuche bestimmte Einreisemotivation ergeben dürfte.

 

Einen generellen Ausschluss von jeglichen Leistungen sieht das Gesetz in § 23 SGB XII selbst beim höchsten Grad der Leistungseinschränkung für den Fall, dass Ausländer – gleichsam ausschließlich – zum Zweck einer Behandlung oder Linderung einer Krankheit eingereist sind, nicht vor. In diesem Fall soll zumindest zur Behebung eines akut lebensbedrohlichen Zustandes oder für eine unaufschiebbare und unabweisbar gebotene Behandlung einer schweren oder ansteckenden Erkrankung Krankenhilfe geleistet werden – eine Konstellation (zielgerichtete Einreise sozusagen ausschließlich zur Krankenbehandlung), die beim Personenkreis der Zuwandererfamilien aus Südosteuropa eher nicht vorliegen dürfte.

 

Vor dem Hintergrund, dass regelmäßig Krankenhilfe zumindest im Maße einer Grundversorgung nach dem SGB XII  geleistet werden kann, ist aus Sicht des Sozialamtes kein größerer Personenkreis erkennbar, für den ein – darüberhinausgehender – Bedarf im Sinne der Anfrage zu a) zutreffen könnte.

 

Dabei ist festzuhalten, dass zu den Aufgaben des Sozialamtes lediglich die Kostentragung der gesundheitlichen Versorgung im Falle der sozialhilferechtlichen Bedürftigkeit gehört, nicht aber Gewährleistung der gesundheitlichen Versorgung selbst. Aufgaben der Steuerung und Organisation diesbezüglich sind nicht vom gesetzlichen Auftrag umfasst.

 

Zu b)

 

Die Kosten der durch das Sozialamt getragenen Krankenhilfe für nicht krankenversicherte Personen (ohne Begrenzung auf den in der Anfrage genannten Personenkreis) betrugen

 

                                    stationär                    ambulant

in 2011                      297.458,56 €            5.766,71 €

in 2012 bis dato         75.034,28 €         26.951,94 €.

 

Der Anstieg der Kosten im ambulanten Bereich beruht nicht auf einem Anstieg der Fall-zahlen, sondern auf der Abrechnung von Krankhilfeleistungen in Höhe von 24.516 € für einen teuren Einzelfall (Dialysebehandlung). Die Kostenentwicklung ist zum einen vom Potential der einer gesundheitlichen Versorgung Bedürftigen, zum anderen von der Bereitschaft der betroffenen Personen, den Schritt der Antragstellung beim Sozialamt zu gehen, abhängig.

 

Zu c)

 

In der BRD bestehen ca. 400 Gesundheitsämter. Hier ein repräsentativer Ausschnitt:

 

In manchen Kommunen bieten neben privaten und Anbietern der Wohlfahrtsverbände auch öffentliche Ämter ärztliche Beratung kostenlos an. Aber es sind vor allem über Spenden finanzierte Hilfsinitiativen wie die in elf Städten vertretene Malteser Migranten Medizin, die Ärzte der Welt in München und das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe („Medibüro“) in Hamburg und Berlin, die sich um die medizinische Grundversorgung all derer kümmern, die nicht versichert sind. Im Bürgerhospital im Frankfurter Nordend, wo die Malteser Migranten Medizin jede Woche eine Sprechstunde für Menschen ohne Versicherungsschutz anbietet, werden Menschen von ehrenamtlichen Ärzten und Pflegern kostenlos behandelt, mit Medikamenten versorgt, bei Bedarf an Fachärzte überwiesen, die keine Rechnungen ausstellen. Im Notfall kommt das Sozialamt für die Behandlungskosten auf. Das Amt für Gesundheit in Frankfurt am Main bietet eine Internationale Humanitäre Sprechstunde an, einmal wöchentlich auch in rumänischer Sprache. Generell bestehen solche Angebote nur in großen Ballungsräumen. Die Stadt Dortmund will eine Basisversorgung, über einen Bundesfond abgesichert, einrichten. In Bremen wurde, angelehnt an den § 4 Asylbewerberleistungsgesetz*/** ein Modell konzipiert, bei welchem die Durchführung der Krankenbehandlung über die AOK Bremen/Bremerhaven erfolgt.

 

*Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde im Jahr 1993 verabschiedet. Ursprünglich galt es nur für Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Die Regelung wurde aber auf andere Menschen ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht ausgeweitet, - also etwa auf Kriegsflüchtlinge oder Menschen, deren Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat das Gesetz in der jetzigen Form allerdings gekippt. Der Gesetzgeber muss die Leistungen neu regeln. Bis dahin gilt eine vom Gericht festgesetzte Übergangsregelung.

**§ 4 Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt

(1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.

(2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren.

(3) Die zuständige Behörde stellt die ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen sicher. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte oder Zahnärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes oder Zahnarztes geltenden Verträgen nach § 72 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet.

 

Das Stadtgesundheitsamt Offenbach hat hessenweit die bestehenden 24 Gesundheitsämter angefragt, welche Regelungen dort bezüglich der Personengruppe bestehen, die nicht unter das SGB II oder SGB XII fallen, also insbesondere derjenigen Personen, die ohne Krankenversicherungsschutz ins Bundesgebiet einreisen. Die meisten Gesundheitsämter sehen sich nicht tangiert, da Sozialämter, Jobcenter oder Grundsatzabteilungen die Problemlösungen erarbeitet haben. Als problematisch wurde die aktuelle Situation bisher von niemandem geschildert. Das Frankfurter Gesundheitsamt ist folgenden Weg gegangen: seit 13.12.2001 ist dort eine „Afrikasprechstunde“ etabliert. Dort arbeiten eine Ärztin und Assistenzpersonal. Es wird beraten und Akutmedizin betrieben. Von Anfang an wurden auch andere Nationalitäten und Deutsche ohne Versicherungsschutz dort angenommen. Im Jahr 2008 erfolgte die Umbenennung in „Humanitäre Sprechstunde (anonym)“. Sprechstunden finden jeweils am Montag und Donnerstag statt. Im Jahr 2012 wurden 1.754 Menschen incl. Kinder behandelt. Das Budget wird in Kooperation mit dem Sozialamt bedient, ist im Prinzip nach oben offen. Die  gesetzliche Grundlage ist seit dem 28.09.2007 das HGÖGD,  § 7 Prävention und Gesundheitsförderung, wonach  insbesondere für sozial benachteiligte oder besonders schutzbedürftige oder gefährdete Personen, die an der gesundheitlichen Versorgung nicht ausreichend teilhaben, die Gesundheitsämter eigene ambulante Behandlungen im Einzelfall vornehmen können. Es handelt sich um eine freiwillige Leistung der Stadt Frankfurt für ihre Bürgerinnen und Bürger, wovon nachweislich auch EU-Migranten aus Offenbach profitieren.  Bremen habe das Frankfurter Modell übernommen. Außerdem arbeitet in Frankfurt noch die „Malteser Migrantenmedizin“. In einigen Städten außerhalb Hessens gibt es ein beratendes „Medinetz“ für diesen nicht versicherten Personenkreis.

 

Am 29.11.12 fand auf Einladung von Herrn Neidel, AL Sozialamt (50), ein Gespräch statt, an welchem Herr Neidel, Hr. Fleischmann (Jurist), Frau Buttler (Abt. 1 Hilfen SGB XII) und Frau Fassauer (Leiterin 500/600 und ZeBuSS), Fr. Dr.Weber (53) und Fr. Schüler (stv. AL 53) teilgenommen haben. Zusammengefasst wurde von Herrn Neidel mitgeteilt, dass das Sozialamt Leistungen im Rahmen des § 23, 3 SGB XII erbringt. Dies erfolgt in Anlehnung an § 4 AsylbLG in der Form, dass auf Antrag bei der ZeBuSS Leistungen im Einzelfall als sogenannte „Nothilfe“ im Rahmen des „pflichtgemäßen Ermessens“ erbracht werden. Diese Entscheidung wird an das Gesundheitsamt als Untersuchungsauftrag zur medizinischen Beratung delegiert. Das Gesundheitsamt erklärt sich bereit, diese Art von Amtshilfe zu erfüllen.

 

Zu d)

 

Dem Stadtgesundheitsamt sind alle relevanten Gesundheitsdienstleister in der Stadt Offenbach bekannt. Es bestehen mit diesen verschiedene fachlich differenzierte Netzwerke, in denen die Beteiligten seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten. Alle Bürgerinnen und Bürger werden bei Bedarf vom Stadtgesundheitsamt ohne Ansehen der Person beraten und gegebenenfalls gemäß individueller Problemstellung zur Behandlung oder Beratung an eine geeignete Beratungsstelle bzw. Einrichtung vermittelt. Mit dem Sozialamt besteht intern ein abgestimmtes Verfahren der Amtshilfe bezüglich Personen ohne Versicherungsschutz, wenn eine ärztliche Untersuchung für erforderlich gehalten wird.

 

Neben bereits vorhandenem, auch mehrsprachigem Informationsmaterial für die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Offenbach soll derzeit unter der Federführung des Amtes für Arbeitsförderung Statistik und Integration, unter Beteiligung weiterer Fachämter, ein Gesundheitswegweiser  mit einer Übersicht der aktuell bestehenden Beratungs- und Behandlungsmöglichkeiten erstellt werden.