Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt

Offenbach am Main

2001 - 2006


Drucksachen-Abteilung I (A) Ausgegeben am 11.11.2004

Eing. Dat. 10.11.2004

 

Nr. 751/1



Änderung der Vergabepraxis von Beschaffungen
Änderungsantrag SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FWG DS I (A) 751/1


Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

Der Ursprungsantrag wird wie folgt geändert:

1. Der Magistrat wird aufgefordert zu prüfen und zu berichten, inwieweit eine
    Neuregelung der Vergabepraxis von Ämtern und Stadt nahen Betrieben in
    Offenbach erfolgen kann, dass nur Produkte eingekauft werden, die im Sinne der
    Konvention Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation keine ausbeuterischen
    Arbeitsleistungen von Kindern enthalten. Dies sollte analog zur Änderung der
    Vergabepraxis durch die bayerische Landeshauptstadt München erfolgen.

    Warengruppen, bei denen besonders häufig ausbeuterische Kinderarbeit
    beobachtet wird, sind derzeit Bälle, Sportartikel, Sportbekleidung, Teppiche,
    Wohn- und Kleidungstextilien, Natursteine, Pflastersteine, Lederprodukte,
    Billigprodukte aus Holz, Agrarprodukte wie Kakao, Kaffee, Orangensaft, Tomaten,
    Blumen – sofern sie aus südlichen Ländern kommen.

    Unternehmen, die aufgrund einer Ausschreibung ein Angebot für eines der
    genannten Produkte abgeben, sollten von den städtischen Vergabestellen um
    Auskunft gebeten werden, in welchem Land das angebotene Produkt hergestellt
    und/oder bearbeitet wurde. Liegt der Produktions-/ Bearbeitungsort in Asien, Afrika
    oder Lateinamerika, sollte die Vorlage einer der folgenden Bestätigungen erfolgen:


a) eine unabhängige Zertifizierung, die bestätigt, dass das Produkt nicht mittels
    ausbeuterischer Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt
    und/oder bearbeitet wurde /z.B. Fair-Handels-Siegel oder Rugmark-Siegel oder

b) die verbindliche Zusage des Unternehmens, dass das Produkt nicht mittels
    ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt und/oder bearbeitet wurde (diese
    Bestätigung muss selbstverständlich auch die Aktivitäten aller Lieferanten und
    Subunternehmer abdecken), oder, falls eine derartige Zusicherung nicht möglich
    ist,

c) eine verbindliche Zusage, dass das Unternehmen, dessen Lieferanten und
    Subunternehmer aktive und zielführende Maßnahmen gegen den Einsatz von
    Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 eingeleitet haben.

    Für Variante b. und c. sollte gebeten werden, eine von der Führungsebene des
    Unternehmens unterzeichnete Selbstverpflichtung, einen Verhaltenskodex (Code
    of Conduct) oder Sozialstandards vorzulegen und ggf. die eingeleiteten
    Maßnahmen näher zu beschreiben.

    Die Vorlage der genannten Bestätigungen sollte ab 01.01.2005 Voraussetzung für
    eine Teilnahme an der Ausschreibung für die genannten Wirtschaftsgruppen sein.
    Es wäre zu beabsichtigen, die Einhaltung der Selbstverpflichtung in
    Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen
    stichpunktartig zu überprüfen.

2. Die Stadtverordnetenversammlung regt an, dass auch die städtischen
    Eigenbetriebe und Beteiligungsgesellschaften prüfen mögen, sich bei der Vergabe
    von Aufträgen für Produkte, die von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen sein
    können, an das vorgeschlagene Verfahren zu halten.


Begründung:

Weltweit gehen nach Schätzungen des internationalen Kinderhilfswerkes „terre des hommes“ bis zu 250 Millionen Kinder unter 14 Jahren einer regelmäßigen Arbeit nach, das sind 20 – 30% aller Kinder. Die Mehrheit der Kinder arbeitet im informellen Sektor auf den Straßen, in der Haus und Landwirtschaft, aber auch in Produktionsbetrieben, wo sie wegen ihrer körperlichen Voraussetzungen (Körpergröße, flinke Finger) oder wegen des geringen Lohns und der größeren Verfügbarkeit erwachsenen Arbeiterinnen und Arbeitern vorgezogen werden. 186 Millionen Kinder schuften unter ausbeuterischen Bedingungen. Die größte Verbreitung hat Kinderarbeit in Afrika. Hier arbeitet fast jedes dritte Kind (29 Prozent). In Asien ist es jedes fünfte Kind (19 Prozent), in Lateinamerika jedes sechste Kind. 

 

Die ILO (Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen) will Kinderarbeit in einem gestuften Zeitraum abschaffen. Die unerträglichsten Formen der Kinderarbeit sollen nach der neuen am 18.04.2004 in Kraft getretenen Konvention 182 der ILO sofort abgeschafft werden, danach sollen präventive Maßnahmen wie Ausbildung und Erziehung parallel zu einer weiteren schrittweisen Abschaffung der Kinderarbeit ergriffen werden. Diese sofort abzuschaffenden Formen sind nach Art. 3 der ILO-Konvention 182:

a)     alle Formen der Sklaverei und Sklaverei-ähnlicher Praktiken (Kinderhandel, Schuldknechtschaft, Leibeigenschaft, Zwangsarbeit, Zwangsrekrutierung)

b)     Heranziehung zur Prostitution, Herstellung von Pornografie und pornografischen Darstellungen

c)     Heranziehung zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere Drogen und Drogenhandel

d)     Arbeit, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist.

 

Diese Konvention wurde auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und ist am 18.03.2004 in Kraft getreten.

 

Bei zukünftigen Vergaben soll nach Auffassung der Antrag stellenden Fraktionen darauf geachtet werden, dass keine Waren  und Dienstleistungen in Auftrag gegeben werden, die Arbeitsleistungen von Kindern enthalten. So ist vorstellbar, dass bei Vergaben verstärkt Produkte mit Sozialsiegeln wie z.B. TransFair, Rugmark oder z.B. das Siegel für Blumen berücksichtigt werden.

 

Das TransFair-Siegel kennzeichnet Kaffee, Tee, Kakao, Orangensaft, Honig und Süßigkeiten, die aus fairem Handel stammen. Die Bauern bekommen für ihre Ernte Preise, die über den Weltmarktpreisen liegen und garantiert werden.

 

Rugmark ist ein Warenzeichen für Teppiche ohne illegale Kinderarbeit aus Indien, Nepal und Pakistan. Teppichhersteller verpflichten sich, keine Kinder unter 14 Jahren zu beschäftigen.

 

Für gerechte Arbeitsbedingungen steht das Siegel für Blumen aus menschen- und umweltschonender Produktion. Wer das Blumensiegel führen will, muss existenzsichernde Löhne garantieren, Gewerkschaftsfreiheit, das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit.

 

Die Stadt Offenbach sollte sich wie die bayerische Landeshauptstadt München ihrer Vorbildfunktion für andere Firmen, Groß- und Einzelverbraucher bewusst sein. Eine Entscheidung der Stadt Offenbach aktiv gegen ausbeuterische Kinderarbeit tätig zu werden, würde sicherlich viele Nachahmer unter anderen Großverbrauchern finden und Einzelverbraucher dazu bewegen, sich zukünftig ausführlicher über Herkunft und Produktionsbedingungen der von ihnen konsumierten Waren zu interessieren.