Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Offenbach am Main 2001 – 2006 ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Drucksachen-Abteilung I (A) Ausgegeben am 04.11.2004                                                                                                Eing. Dat. 04.11.2004

Nr. 767


Richtlinie über Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt
Antrag der Stv.- Fraktion PDS

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Offenbach am Main wendet sich gegen den Vorschlag zur Einführung einer EU-Richtlinie zur Schaffung eines Binnenmarkts für Dienstleistungen KOM (2004)02. Sie fordert die Bundesregierung, den Bundesrat, die Landesregierung und die bundesdeutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, diesen Richtlinienvorschlag abzulehnen und auf die Europäische Kommission dahingehend einzuwirken, dass dieser Vorschlag umgehend zurückgezogen wird.

Begründung:

 

Der vorbezeichnete Richtlinienentwurf über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist unausgewogen und verletzt erheblich das im Vertrag über die Europäische Union verankerte Subsidiaritätsprinzip. Der Entwurf unterwirft wesentliche Leistungen der Daseinsvorsorge wie die Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und durch Sozialversicherungen geregelte Dienstleistungen (Gesundheitsdienste, Pflege) einer allgemeinen Liberalisierung und greift damit tief in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten, ihrer regionalen Untergliederungen und Kommunen ein.

 

Der Richtlinienentwurf durchlöchert das einheitliche Recht der Mitgliedsstaaten und organisiert so einen Wettlauf der mitgliedstaatlichen Rechtssysteme um niedrige Qualitäts-, Arbeits-, Sozial-, Verbraucherschutz- und Umweltstandards.

 

Der Entwurf verzichtet auf eine sozialpolitische Regulierung des Dienstleistungsbinnenmarkts und macht eine effektive Kontrolle der Einhaltung des geltenden deutschen und EU-Rechts durch Arbeitnehmerentsendung unmöglich.

 

 Würde diese Richtlinie angenommen, dann verlören die Kommunen und Länder ihre Gestaltungskraft bei der Organisation öffentlicher Dienste und öffentlicher Daseinsvorsorge. Selbst von den Sozialversicherungen geprägte Dienstleistungen wie im Gesundheitswesen und in der Pflege unterlägen der vollständigen Privatisierung. Und auch in Bezug auf die marktwirtschaftlich erbrachten Dienstleistungen käme es zu einem harten Dumpingwettbewerb bei Qualitätsstandards, Beschäftigungsbedingungen, Umweltauflagen u.v.a.m. Auch die erst Ende der 1990er Jahre geschaffenen Regelungen zur Arbeitnehmerentsendung würden durch die neue Richtlinie völlig ausgehebelt.

 

Zur Gewährung des freien grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs soll das sog. Herkunftslandprinzip gelten. Danach soll der Dienstleistungserbringer einzig den Rechtsvorschriften des Landes unterliegen, in dem er niedergelassen ist, und die Mitgliedsstaaten der Union dürfen die Erbringung von Dienstleistungen durch in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Dienstleistungserbringer auch nicht beschränken.

 

In jedem einzelnen Mitgliedstaat würden künftig bis zu 25 verschiedene Unternehmens-, Sozial- und Tarifrechtssysteme neben- und miteinander konkurrieren. Im Vorteil wären Dienstleistungserbringer aus jenen Mitgliedstaaten, welche die jeweils niedrigsten Standards in Bezug auf die Kontrolle der Unternehmertätigkeit, der Qualitätsstandards und der Qualitätskontrolle, die Besteuerung und die Sozial- und Beschäftigungsbedingungen sowie des Umwelt- und Verbraucherschutzes aufweisen. Im Ergebnis würden durch die Richtlinie ungleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU geschaffen, die in einen radikalen Unterbietungs- und Dumpingwettlauf münden.

 

Was die Kommission vorhat ist ein gewaltiger Angriff auf bestehende Standards und Sozialsysteme. Sie benötigt dazu jedoch die Zustimmung von Europaparlament und  nationalen Regierungen. Jetzt besteht Handlungsbedarf, denn im Gesetzgebungsverfahren liegt der Richtlinienentwurf bereits den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und dem Europäischen Rat zur Beratung vor. Schon der Bundesrat hat im April 2004 eine durchaus kritische Stellungnahme zur geplanten Dienstleistungsrichtlinie verabschiedet (Drucksache 128/04).

 

Es versteht sich von selbst, dass die Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie auch die Interessen der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland tangiert. Vorhandene soziale Standards würden durch sie beeinträchtigt werden, so auch in Offenbach. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt können von daher kein Interesse daran haben, dass diese Richtlinie verabschiedet wird. Daher sollte die Stadtverordnetenversammlung eindeutig Stellung beziehen und gleich anderen Kommunen und Institutionen das ihr Mögliche tun, um die Einführung der Richtlinie zu verhindern.