Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt

Offenbach am Main

2021 - 2026


2021-26/DS-I(A)0391Ausgegeben am 03.11.2022

Eing. Dat. 03.11.2022

 

 

 

Finanzielle Mehrbelastung für Offenbach durch Steigerung der Verbandsumlage des LWV Hessen wegen systemwidriger Leistungen (§ 43a SGB XI) abwenden

Antrag CDU vom 03.11.2022

 

 

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen:

 

Die Offenbacher Stadtverordnetenversammlung fordert die Bundes- und Landesregierung auf, hinsichtlich der sog. „systemwidrigen Leistungen“ (§ 43a SGB XI) eine Neuregelung zu treffen, welche die bisherige Ungleichbehandlung bei den Pflegeleistungen zwischen Menschen, die zum einen in Einrichtungen der Eingliederungshilfe und zum anderen in anderen Wohnformen wohnen, beseitigt.

 

Die derzeitige Regelung ist nicht nur eine eklatante Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, die in besonderen Wohnformen (früher: stationäre Einrichtung) leben, gegenüber Menschen in Pflegeheimen oder häuslicher Pflege (andere Wohnsituationen/ -formen), sie stellt zudem für die kommunale Seite eine nicht zumutbare Mehrbelastung dar. Allein für den LWV Hessen verursachen diese „systemwidrigen Leistungen“ Mehrbelastungen von ca. 100 Mio. Euro pro Jahr. Dies bedeutet damit auch für unsere Stadt eine starke finanzielle Mehrbelastung im Zuge der Verbandsumlage. Die letzte Steigerung der Gesamtverbandsumlage um 130 Millionen Euro bedeutete für Offenbach eine Steigerung um 4 Millionen Euro.

 

Es ist nicht tragbar, dass hier eine signifikante Ungleichbehandlung erfolgt, die dem Gedanken der Inklusion widerspricht und sogar ggf. geeignet sein kann, Einrichtungen der Eingliederungshilfe unattraktiv(er) zu machen.

 

Die Offenbacher Stadtverordnetenversammlung erachtet es für dringend notwendig, dass hier über Parteigrenzen hinweg eine Initiative ergriffen wird, eine Lösung zu finden, die diese Ungleichbehandlung beendet.

 

Weiterhin bekräftigt die Offenbacher Stadtverordnetenversammlung, dass sie es für ein fatales Zeichen hält, dass Leistungen, die in anderen Wohnsituationen (Pflegeheime oder häusliche Pflege) von der Solidargemeinschaft der Versicherten getragen werden, bei den besonderen Wohnformen (früher: stationäre Einrichtungen) auf die Eingliederungshilfe und somit in Hessen über die Verbandsumlage auf die kommunale Seite verlagert werden. Ressourcen und Leistungen, die hierfür aufgewendet werden, fehlen an anderer Stelle beim örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträger für eine moderne, innovative auf Inklusion zielende Sozialpolitik.

 

Die Offenbacher Stadtverordnetenversammlung fordert zudem den Magistrat auf, die Position der Stadtverordnetenversammlung hinsichtlich dieser Ungleichbehandlung gegenüber der Landes- und Bundesregierung deutlich zu machen und die gleichlaufenden Bemühungen des LWV Hessen zu unterstützen.

 

 

Begründung:

 

Bereits mit der Einführung der Pflegeversicherung entstand eine Regelung, die für viele behinderte Menschen in besonderen Wohnformen eklatant ungerecht ist. Behinderte Menschen, die Eingliederungshilfe in besonderen Wohnformen (früher: stationäre Einrichtungen) erhalten, haben nach § 43a SGB XI allenfalls Anspruch auf eine Pauschale in Höhe von 266,00 € monatlich aus der Pflegeversicherung. Der Gesetzgeber begrenzt somit die Pflegeleistungen für behinderte Menschen in den genannten Einrichtungen gegenüber anderen Wohnsituationen (bis zu 2.005,00 € monatlich im Pflegeheim § 43 SGB XI, bis zu 2.095,00 € monatlich bei häuslicher Pflege § 36 SGB XI).

Das bedeutet nach Berechnungen des LWV Hessen eine finanzielle Mehrbelastung von über 100 Mio. € pro Jahr allein für den LWV Hessen; die Tendenz ist vermutlich deutlich steigend. Die finanzielle Hauptlast des LWV Hessen tragen die Landkreise und kreisfreien Städte über die Verbandsumlage.

Der LWV Hessen hat sich diesem Thema schon seit Jahren sehr intensiv gewidmet und dabei sowohl die Folgen des Inklusionsgedankens als auch die daraus folgenden finanziellen Probleme im Blick. Ein erstes Gutachten von Prof. Dr. Welti (https://www.reharecht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Infothek/Sonstige_Ver%C3%B6ffentlichungen/2016/Gutachten_Welti_zu___43a_SGB_XI.pdf) aus dem Jahre 2016 kam zu der Einschätzung, dass diese Regelung nach § 43a SGB XI materiell sowohl verfassungswidrig ist als auch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt. Zwischenzeitlich hat ein weiteres rechtliches Gutachten vom 13. Mai 2020 des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags von Rheinland-Pfalz (https://www.landtag.rlp.de/fileadmin/Landtag/Medien/Gutachten_WD/17._Wahlperiode/2020-05-13_-_SPD-FDP-B90-GRUENE_-_Vereinbarkeit____43a_Saetze_1 3_SGB_XI-Grundgesetz-UN-Behindertenrechtskonvention.pdf) eine andere Einschätzung formuliert. Insbesondere ist von Relevanz, dass aufgrund der Neuregelung des Bundesteilhabegesetzes die Zahl der Selbstzahler geringer geworden ist, so dass sich die Frage der verfassungsrechtlichen Gleichbehandlung etwas entschärft.

Ungeachtet der juristischen Bewertungen bleibt dies aber eine politische Aufgabe. Hier ist eine symbolträchtige und problematische Ungleichbehandlung zu sehen, die ein fatales Zeichen für Menschen in besonderen Wohnformen setzt und überdies die kommunale Seite in besonderer Weise belastet. In einem transparenten, auf Inklusion und Teilhabe zielenden Sozialsystem ist es wesentliche Aufgabe, solche sozialpolitischen und finanziellen Ungleichgewichte zu beseitigen - insbesondere um der Menschen Willen, aber auch aus finanzpolitischen Erwägungen.

 

Hinweis: Der Antrag wird den Stadtverordneten und Fraktionen elektronisch (PIO) zur Verfügung gestellt.